Die Geschichte Amerikas ist auch die Geschichte des Landverlusts seiner ursprünglichen Besitzer. In den USA sind nur noch etwas weniger als zwei Prozent des Landes von meist unterdurchschnittlicher Qualität im Besitz der Stämme. Aber dieses Land ist ein wichtiges Bindeglied zwischen seinen heutigen Bewohnern und ihrer einstigen Souveränität. So kann es kaum verwundern, daß Landrechte bis heute im Mittelpunkt der Kontroversen zwischen den eingeborenen Völkern und den Regierungen der Nationalstaaten stehen.
Die Spanier stützten sich bei ihrer Aneignung amerikanischer Gebiete in erster Linie auf das Recht des Eroberers, das aus der Weigerung der Urbewohner abgeleitet wurde, sich bereitwillig zum Christentum bekehren zu lassen. Auch die anderen Kolonialmächte scheuten bei der Landnahme nicht vor Gewaltanwendung zurück, vor allem die Briten schlossen jedoch mit den früheren Besitzern auch Verträge ab, die ihre Eroberungen nachträglich rechtfertigten oder die höheren Kosten eines Krieges vermeiden sollten. Grundsätzlich hatten die Betroffenen kaum eine andere Wahl, als einer Landabtretung zuzustimmen. Im atlantischen Küstenland gibt es noch heute Reservationen, die auf diese kolonialen Verträge zurückgehen.
Von den Briten übernahmen die Vereinigten Staaten und Kanada die Praxis des vertraglichen Landerwerbs. Insgesamt handelten die USA rund 800 Verträge mit den Stämmen aus, die aber nur zur Hälfte vom Senat ratifiziert wurden und damit in Kraft traten. Besonders dringend erschien im frühen 19. Jahrhundert angesichts des unstillbaren Landhungers der Plantagenbesitzer die Bereinigung indigener Landrechte in den Südstaaten der Union. Ein 1830 verabschiedetes Gestz (Indian Removal Act) stellte Mittel bereit, um alle östliche des Mississippi lebenden Stämme in ein "Indianerterritorium" im heutigen Oklahoma und nach Kansas abzusiedeln. Nur einige wenige Gruppen im Nordosten entgingen dem Schicksal. Die Mehrheit mußte trotz Widerstands und unter enormen Opfern auf den "Pfad der Tränen" - wie die Überlebenden der zwangsumsiedlung diese traumatische Erfahrung später nannten - nach Westen umziehen.
Zwar mußten die Lakota nicht den "Pfad der Tränen" beschreiten, weil ihre Reservationen im angestammten Siedlungsgebiet lagen. Dennoch sahen die ehemaligen Bisonjäger in der durch die Armee erzwungenen Aufgabe der ausgedehnten alten Jagdgründe einen deutlichen Beweis dafür, daß Amerika nur für die Weißen ein "Land der Freien" war.
Während die USA 1871 die Vertragspraxis aufgaben und Landfragen nur noch durch Verfügungen des Präsidenten regelten, schloß das 1867 unabhängig gewordene Kanada zwischen 1871 und 1877 insgesamt elf Sammelverträge mit Stämmen in Ontario und den Prärie-Provinzen. In British Columbia und in den Yukon und Northwest Territories blieb die Landfrage bis in die Gegenwart weitgehend ungelöst. In Alaska, das sie 1867 von den Russen ohne Rücksicht auf die dort lebenden Völker erworben hatten, schufen die USA erst 1971 eine gesetzliche Regelung der eingeborenen Landrechte.
Im Zuge der Vertragsabschlüsse wurden für die eingeborenen Völker Reservationen errichtet, die in Kanada recht klein ausfielen, weil sich ihre Größe nach der Anzahl der gerade dort lebenden Familien richtete. Um eine rasche Assimilierung der "Indianer" zu erreichen, erließen die USA 1883 ein Gesetz (General Allotment Act), auf dessen Grundlage die Reservationen (und damit die Stämme) aufgelöst werden sollten. Stattdessen sollte jede Familie eine Parzelle als Privateigentum erhalten, um sie damit zu freien und unabhängigen Bürgern zu machen, die vom Ertrag ihrer Landwirtschaft lebten. Obwohl dieses Ziel nicht erreicht wurde und man wegen der schlechten Erfahrungen das Gesetz nicht auf alle Reservationen anwandte, gingen auf diese Weise zwei Drittel des Reservationslandes verloren: Das nach der Aufteilung "überzählige" Land wurde vom Bund an Weiße veräußert, und nicht selten sahen sich die verarmten eingeborenen Eigentümer der Einzelparzellen gezwungen, diese bald zu verkaufen.
1946 wurde in den USA eine Kommission eingerichtet, die alle aus den Verträgen stammenden noch offenen Forderungen befriedigen, widerrechtlich entzogenes Land abgelten und damit den Indianern für ihre Leistungen im Zweiten Weltkrieg ganken sollte. Man wollte reinen Tisch machen - und danach durch die sogenannte Terminationsgesetzgebung die Reservationen endgültig auflösen. Wo dieser Plan umgesetzt wurde, führte er zu einschneidenden wirtschaftlichen Problemen, denn der plötzliche Verlust von Subventionen, Steuerautonomie und kollektiver Landbasis bedeutete einen schweren Schlag für das wirtschaftliche Wohl der betroffenen Stämme. In der Folge nahm die Bundesregierung die "Termination" teilweise zurück. So erreichten die Menominee in Wisconsin 1973 nach heftigen Protesten, daß ihre Reservation wiederhergestellt wurde und der Stamm seinen alten Status zurückerhielt. Der Stamm der Klamath in Oregon dagegen existiert seit 1958 offiziell nicht mehr.
Die Zahl der heute anhängigen Gerichtsverfahren, in denen es um Fragen des Landbesitzes geht, macht deutlich, daß dieses Problem keinesfalls Schnee von gestern ist.
Zur Karte:
Vor allem in Kanada sind nicht alle der mehr als 2.000 Reservationen eingezeichnet. Das von 25.000 Menschen (davon 85 Prozent Inuit) bewohnte Territorium von Nunavut im Norden Kanadas hat eine Fläche von etwa zwei Millionen Quadratkilometern. Es entstand 1999 als selbstständige Einheit aus den alten Nortwest Territories als Folge der 1973 begonnenen kanadischen Landrechtspolitik gegenüber den indigenen Bewohnern.