Die Lage der nordamerikanischen |
Die Situation der "Native Americans" ist vergleichbar mit der in der Dritten Welt.
Obwohl die Bevölkerungszahlen ansteigen - 1990 gab es wieder rund zwei Millionen Indianer in den Vereinigten Staaten - haben die Nachkommen der Ureinwohner mit großen Problemem zu kämpfen. Nicht nur unzureichende Bildungsmöglichkeiten, Armut, schlechte medizinische Grundversorgung und hohe Arbeitsoligkeit, sondern auch die Bedrohung ihres Landes und der natürlichen Ressourcen durch profitgierige Konzerne erschweren das Leben der Indianer. Zudem müssen sie sich auch noch gegen die mitunter brutalen Übergriffe staatlicher Behörden (FBI, Regierung, Polizei...) wehren.
Links: Indianische Heilige beten an der neuen Grabstätte der Crow Creek. Bei der neuerlichen Beerdigung fanden christliche und traditionelle Riten statt.
Rechts: Die Gebeine bei ihrer Entdeckung im Jahre 1978. |
DIE CROW CREEK
Die erneute Beisetzung der Crow Creek ist beispielhaft für eine von Indianern und Archäologen gemeinsam erarbeitete Lösung. Im Jahre 1978 entdeckten Archäologen der Universität von South Dakota in der Crow-Creek-Sioux-Reservation die Gebeine von 500 Opfern eines Krieges (um 1325 n. Chr.) zwischen den Vorfahren der Arikara. Zunächst bestanden die Indianer darauf, dass die Gebeine nicht angerührt werden. Als Plünderer die Fundstätte zu beschädigen begannen, willigten Arikara und Sioux jedoch ein, sie zu Studienzwecken zu entfernen. 1981 wurden die sterblichen Überreste vereinbarungsgemäss zurückgegeben und in der Nähe erneut beigesetzt. |
Indianische Rechtsansprüche
Als sich die Weißen die Gebiete der Ureinwohner aneigneten, waren ihre Gelehrten erpicht, das Wesen und die Ursprünge der Bestohlenen zu studieren. 1867 bekam die US-Armee den Befehl, Indianerschädel für Studienzwecke des "Army Medical Museum" zu besorgen. Tausende Schädel wurden auf den Schlachtfeldern zusammengetragen. In den folgenden Jahrzehnten sammelten bedeutende Museen und Universitäten Skelette und Grabbeigaben, und auch private Sammler plünderten die Gräber und verkauften die Inhalte.
In den Augen der Indianer ist ein solches Vergehen ein Sakrileg, das die Würde der Ahnen beleidigt und das prekäre Gleichgewicht in der Natur bedroht. Jahrzehntelang kämpften die Indianer um die Repatriierung der Überreste, um sie wieder begraben zu können. Im Jahre 1990 erließ der Konkreß schließlich den Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA), der besagt, daß staatliche Organisationen sämtliche sterbliche Überreste, Grabbeigaben und sakrale Objekte den Völkern zurückzugeben haben. Künftig müssen die Stämme gefragt werden, bevor Grabungen an ihren Stätten vorgenommen werden.
In ihrem Kampf um ihr Land, das sie durch Verträge oder Niederlagen im Kampf verloren, sind die Indianer nur teilweise erfolgreich. Die juristischen Auseinandersetzungen begannen 1946, als der US-Kongreß die "Indian Claims Commission" (ICC) einsetzte, die für illegal enteignetes Land eine verzinste Entschädigung in Höhe des Wertes zur Zeit der Enteignung verteilen sollte.
Völker, deren Forderungen anerkannt wurden, erhielten beträchtliche Summen. Die Passamaquoddy von Maine etwa bekamen genug Geld, um Wohn-, Industrie- und Erziehungsprogramme aufzubauen. Einige Völker weigerten sich jedoch, finanzielle Entschädigung für ihr heiliges Land zu akzeptieren.
Im Gegensatz zu den USA erkennt Kanada die traditionellen Besitzrechte der Indianer an. Die Regierung bemüht sich um einvernehmliche Verträge, welche sowohl Landabkommen als auch finanzielle Regelungen beinhalten. Das wichtigste Ereignis dieser Politik ist die Gründung des Inuit-Territoriums von Nunavut. Doch gibt es wie in den Vereinigten Staaten auch hier viele ungeklärte Fälle.
Eine Protestgruppe in Alcatraz, dem früheren Inselgefängnis in der Bucht von San Francisco. Rund 200 Indianer besetzten im November 1969, kurz nachdem die US-Regierung das Gefängnis geschlossen hatte, die Insel. Sie verlangten die Rückgabe und beriefen sich auf eine Vertragsklausel, die den Rückfall an die Indianer nach Beendigung der bundesstaatlichen Nutzung vorsah. Bis 1971 wurde Alcatraz belagert, dann vertrieb die Polizei die letzten Demonstranten. Weitere Aktionen wie "Der Pfad der gebrochenen Verträge" (1972) folgten, bei dem das "Bureau of Indian Affairs" sechs Tage lang besetzt wurde. |
Der Rote Weg
Der Rote Weg kann als der "indianische Weg" verstanden werden, als Versuch, sich der traditionellen Werte wie Tapferkeit, Spiritualität und Respekt vor dem Nächsten zu besinnen und damit als Chance, selbstbestimmt zu leben.
Viele Indianer versuchen, aktuelle soziale Probleme wie Alkoholismus und Drogenmißbrauch über den Roten Weg zu bewältigen. Der Alkoholismus betrifft unzählige Familien in den Reservaten und ist eine der Hauptursachen für Gewalt und Selbstmorde. Verschiedene Programme wurden entwickelt, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Im Programm von Gene Thin Elk im Osten South Dakotas werden Berater ausgebildet, die Alkoholiker und Drogenabhängige durch Entziehungskuren und traditionelle Unterweisungen und Zeremonien resozialisieren. Die Ergebnisse sind beeindruckend - die Initiative hat eine höhere Erfolgsquote als die Anonymen Alkoholiker.
Der Rote Weg wird auch beschritten, um das Problem der Arbeitslosigkeit, die in manchen Gemeinden über 85 Prozent liegt, in den Griff zu bekommen. Die Situation ist nach wie vor prikär, doch erweisen sich lokale Projekte, die sich an den traditionellen Werten wie Zuverlässigkeit und Großzügigkeit orientieren, als sehr erfolgversprechend. In den 80er Jahren initiierte die Stammesführerin der Cherokee-Nation, Wilma P. Mankiller, gemeinsam mit ihrem Mann, Charlie Soap, ein Netzwerk, das kleinere Geschäftsdarlehen und Betriebsberatungen anbietet, um lokale Unternehmen und Kooperativen in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen zu unterstützen.
Das Wiederaufleben der traditionellen Werte zeigt auch Auswirkungen auf die Stammesregierungen. Der Indian Reorganization Act (IRA) aus dem Jahre 1934 zwingt den Stämmen euroamerikanische, repräsentative Regierungsformen - hauptsächlich in Form gewählter Stammesräte - auf. Die repräsentative Demokratie unterminierte jedoch oft die traditionellen Formen der Konsensregierung, bei der jedes Stammesmitglied zu wichtigen Entscheidungen der Geminschaft direkt befragt wird. Obwohl alle Stämme ihre Stammesräte beibehalten müssen, um mit dem "Bureau of Indian Affairs" und anderen bundesstaatlichen oder staatlichen Einrichtungen zu kommunizieren, versuchen einige Indianernationen, zu traditionellen Formen der Stammesregierung zurückzukehren und diese gleichsam parallel zu praktizieren. Der Stamm der Ihanktonwan (Yankton-Sioux) etwa führte eine Art konsensueller Regierungsform wieder ein, wodurch alle 7.000 eingeschriebenen Mitglieder in die Entscheidungen wie die Verteilung der Casinoeinkünfte oder in die Studien an der neuen, gemeindeeignen Hochschule einbezogen werden.
Eine Werbetafel für das Antialkohol- und Antidrogenprogramm in der Reservation der Cheyenne-River-Sioux. Es verfolgt das Ziel, Alkohol und Drogen aus der Reservation zu verbannen. Anderswo haben sich Alkoholverbote bereits als sehr wirkungsvoll erwiesen. In der Indianerstadt Kotzebue, Alaska, führte ein Verkaufsverbot zu 40 Prozent weniger Morden, Selbstmorden, Überfällen und Vergewaltigungen. |
Auch die häufig getrübten Beziehungen zwischen Indianern und anderen US-Bürgern profitieren von den Programmen des Roten Weges. Nicht alle Indianer schätzen es, daß sakrale Traditionen und Praktiken Außenstehenden zugänglich gemacht werden. Manche jedoch, wie der Medizinmann der Lakota, Wallace Black Elk, setzen sich dafür ein, die Weißen für den Roten Weg zu gewinnen. In South Dakota und Minnesota, wo die Beziehungen zwischen Indianern und Weißen oft sehr gespannt waren, ist der Rote Weg zur Basis eines Aussöhnungsprogrammes geworden.
Der Erfolg der Initiativen des Roten Weges zeigt, daß die traditionellen Methoden der Indianer mit der Zeit Schritt halten und auch bei dem Weg in die Zukunft erfolgreich eingesetzt werden können.
Nichts unterscheidet die Jahrtausendwende von der Pionierzeit:
Im indianischen Geschichtsbewußtsein ist die Vergangenheit Begleiter in die Zukunft: Der 12. Oktober 1992 ist auch der 12. Oktober 1492. Das Jubiläum der Eroberer ist die Trauerfeier der Eroberten: 500 Jahre Unterdrückung sind auch 500 Jahre Widerstand.
Der indianische Widerstand - von Kanada und den USA als "nationales Problem" behandelt - war nicht mehr nur Antwort auf regionale Mißstände, sondern hatte eine globale Dimension angenommen und hatte sich darin bewährt. Immer mehr Indianer treten mittlerweile aus der Abgeschiedenheit der Reservation heraus und beteiligen sich an der Erdpolitik am Ende des zweiten Jahrtausends.
So ist es inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, daß auf internationalen Konferenzen in Rio de Janeiro, Frankfurt oder Denver ein Sprecher der Haudenosaunee eine Arbeitsgruppe leitet, ein Schriftsteller der Kiowa seine Sicht der Welt beisteuert oder ein Medizinmann der Lakota die Sitzung mit einem Gebet eröffnet. Auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro war die gemeinsame Stimme der indigenen Welt nicht zu überhören.
Daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen sich schließlich dazu bewegen ließ, daß Jahrzehnt von 1994 bis 2004 zur "Decade of The Indigenous Peoples of the World" zu ernennen, zeigt ebenso wie die Fernsehserie "How the West Was Lost" aus dem Hause Teed Turner, daß der vielbeschworene Paradigmenwechsel auch die Etagen der Entscheidungsträger erreicht hat.