Wappen- oder Totempfähle und Masken
Zeremonial- und Monumentalkunst spielten in den traditionellen Kulturen ganz unterschiedliche Rollen. Wie die Stilrichtungen änderten sich diese Rollen von Region zu Region. In den nördlichen Gegenden diente ein Großteil der Zeremonialkunst der Zurschaustellung von Wappen, in denen sich die Lineage des Besitzers repräsentiert sah. Ein Mann, der eine Bärenmaske trug, gehörte zur Bären-Sippe oder zum Bären-Klan. In mancher Weise entsprachen diese Wappen sehr den europäischen Wappen, in anderer Hinsicht unterschieden sie sich von ihnen, da sie sich auch auf die Erfahrungen beziehen konnten, die der Vorfahre des Trägers - der Familiengründer - tatsächlich mit einem Bärgeist gehabt haben mochte.Ein Großteil verweist in der Tat auf eine Urzeit, in der die Abgrenzungen zwischen Menschen, Geistern und Tieren sehr viel fließender waren, als sie es heute sind. In dieser Zeit konnten Tiere Menschen heiraten, und manchmal verwandelten sich Geister aus tierischer in menschliche Gestalt. Menschen, die mit Tieren und Geistern Erfahrungen dieser Art gemacht hatten, konnten das Recht auf ein bestimmtes Wappentier erlangen, das sie dann an ihre Nachkommen weiterreichen durften. Ein Kunstwerk, das ein Wappentier zeigt, gibt demnach vielleicht mehr an als nur die Genealogie. Es kann acu von der Familiengeschichte sprechen und von den spezifischen Rechten, derer sich diese Familie aufgrund der Erfahrungen der Ahnen erfreut. Praktisch macht das Kunstwerk all die unsichtbaren Rechte, die eine Familie besitzt, sichtbar - das Recht, bestimmte Tänze aufzuführen, bestimmte Lieder zu singen, bestimmte Geschichten zu erzählen und eine bestimmte Klanggeschichte beanspruchen zu können. Diese Rechte wurden sorgsam gehütet, und es galt als unpassend, wenn irgendein Mitglied der Gesellschaft einen Tanz tanzte oder ein Lied sang, worauf er oder sie kein Anrecht hatte.
Wappen wurden in vielerlei Zusammenhängen hergezeigt. Masken wurden in Wappenform geschnitzt und bei Tänzen getragen. Zeremonialstirnbänder waren mit Wappenmustern versehen, Chilkat-Decken wurden mit Wappenmustern gewebt und Korbhüte wurden mit Wappenmustern bemalt. Manchmal bemalte man auch die Häuserfronten mit Wappendesigns. Die wahrscheinlich bekannteste Zurschaustellung von Wappen ist der Wappenpfahl, der so etwas wie ein Symbol für die Nordwestküste geworden ist. Entgegen der populären Meinung wurden sie nicht überall an der Küste geschnitzt, sondern waren überwiegend bei den südlichen Tlingit, den Haida, Tsimshian und den Kwakiutl verbreitet. Es hat Diskussionen darüber gegeben, inwieweit die Wappenpfähle schon vor der Ankunft der europäischen Händler mit ihren Eisenwerkzeugen existierten. Heute sind sich fast alle Wissenschaftler darin einig, daß Wappenpfähle bereits eine etablierte Kunstform waren, als die ersten Weißen kamen. Beinahe ebenso gewiß ist jedoch, daß die eisernen Werkzeuge - und die zeremoniellen Aktivitäten, die durch den Pelzhandel gefördert wurden - die Zahl der Pfähle anwachsen ließ.
Es gab viele Arten von Wappenpfählen, die je nach Funktion unterschiedlich groß waren. Häufig, wenn eine hochrangige Person starb, ließen seine Nachfolger oder andere Angehörige seiner Familie zu seinen Ehren einen Pfahl errichten. Der Pfahl zeigte Wappenfiguren, die sich auf die Ahnenschaft des Verstorbenen bezogen. Andere Pfähle sind unter der Bezeichnung Frontpfähle bekannt geworden; ein solcher Pfahl stand vor der Fassade eines Hauses und zeigte die Wappen der darin lebenden Familien. Innerhauspfähle, die kürzer waren als die meisten Gedenk- und Frontpfähle, stützten die Dackbalken. In einigen Gegenden der Küste, vor allem bei den Haida, wurden menschliche Überreste in Grabkisten an der Spitze von Bestattungspfählen platziert. Solche Bestattungspfähle waren in der Regel verhältnismäßig kurz und zeigten nur ein oder zwei erstrangige Wappenbilder. Dort, wo die Toten beerdigt wurden, stellte man häufig geschnitzte Figuren auf, um die Grabstätte zu kennzeichnen. Freistehende Holzskulpturen von Menschen, die als Willkommensfiguren bekannt sind, wurden manchmal am Strand eines Dorfes errichtet, um Besucher willkommen zu heißen; dies war vor allem im südlichen Teil der Nordküste der Fall.
Die Errichtung eines Wappenpfahls geschah im Rahmen eines Potlach. Die Gäste, die kamen, fungierten als Zeugen, die bestätigten, daß die Familie, die den Pfahl aufstellen ließ, dazu auch berechtigt war. Der Potlach, der die Errichtung eines Gedenkpfahls begleitete, ehrte den kürzlich Verstorbenen und schuf eine kollektive Erinnerung daran, warum diese Person so geehrt worden war. Wappenpfähle wurden bei Meisterschnitzern in Auftrag gegeben, die für ihre Kunst in die Lehre gegangen waren und sich einen Ruf als ausgezeichnete Künstler erworben hatten. Von den immensen Gesamtkosten, die eine solche Pfahlerrichtung und die als Rahmenveranstaltung abgehaltenen Potlachzeremonien verursachten, stellte allein schon der Pfahl einen beinträchtlichen finanziellen Aufwand dar.
Eine Kunst, die Wappen zur Schau stellt, stellt auch einen ansehnlichen Reichtum aus. Reichtum bemaß sich an der Nordwestküste ebenso in Anrechten wie in materiellen Besitztümern. Ein Kunstwerk, das ein Wappen zeigte, ließ daher auf einen viel umfassenderen Komplex von Anrechten schließen, die der Familie zustanden, der das Wappen gehörte. Nicht alle Kunst brachte Wappen zur Darstellung, aber auch andere Kunstformen erzählten von Rechten und Ansprüchen. So wurden Zeremonialmasken bei mit sehr viel Prestige verbundenen Tänzen getragen, die vererbt wurden. Man erwarb das Recht, an den Tänzen teilzunehmen und den weniger sichtbaren Reichtum dieses Erbes für sich in Anspruch zu nehmen, durch eine Initiation. Die dramatischen Zeremonialmasken der Südlichen Kwakiutl und der Nuu-cha-nulth sind Beispiele der mit diesen Tänzen assoziierten Kunst.
soll das Unsichtbare sichtbar machen |
Rabe schwimmt an der Mündung des Nass |
Riesengesicht mit übersinnlicher Kraft |
-Maske: die staunende Miene einer Gebärenden |
Die Südlichen Kwakiutl sind besonders für ihre Tseyka (populär: Hámatsa) - Tänze oder Winterzeremonien bekannt. Auch diese Tänze nehmen auf die Erfahrungen von Vorfahren mit Geistern Bezug. Der Hámatsa oder Initiierte erlebt selbst die Abenteuer eines Vorfahren mit dem Menschenfressergeist Bakhbakwalanooksiwey. Dieser Geist wurde von zahlreichen wilden Vögeln begleitet, die in der Lage waren, Menschen zu fressen. Der Ahne entkam und brachte seiner Familie das Recht mit nach Hause, Tänze aufzuführen, die er bei der Begegnung gelernt hatte.
Während der Winterzeremonien wurden die Grenzen zwischen Menschen und Geistern, zwischen Gegenwart und Vergangenheit und zwischen Initiiertem und Vorfahren zeitweise aufgehoben. Der Initiierte lebte die Erfahrungen des Urahnen bei seiner Begegnung mit Bakhbakwalanooksiwey nach. Nach einer Phase der Isolation kehrte er während der Winterzeremonien in einen Zustand der Wildheit in Dorf zurück, wurde gezähmt und mit Hilfe einer Reihe spezieller Tänze in seinen früheren menschlichen Zustand zurückversetzt. Schritt für Schritt wurden die Grenzen zwischen Mensch und Geist, Gegenwart und Vergangenheit, Initiiertem und Vorfahren wiederhergestellz.
Bei einigen dieser Tänze tragen die Tänzer große Masken, die die kannibalischen Vögel darstellen, die Bakhbakwalanooksiwey begleiteten. Diese dramatischen Masken waren aus Holz geschnitzt und mit großen, herabfallenden Strängen aus der Rinde der Roten Zeder drapiert. Die Masken haben bewegliche Schnäbel, die von den Tänzern mittels Zugschnüren geöffnet und geschlossen wurden. Die Zedernrindenstränge hingen so dicht, daß sie die Körper des Tänzers und seine Handbewegungen beim Bedienen der Zugschnüre verhüllten. Das Klappern des Schnabels war eine Zugabe aus Klang und Bewegung.
Die Tseyka-Zeremonien zeugten von einem besonderen Privileg, das nur für Menschen galt, die dieses Anrecht besaßen und eigens durch eine Initiation gegangen waren, um das Recht zu erwerben, sie durchzuführen. Das Kunstwerk half die Erlebnisse des Ahnen nachzuvollziehen - oder nachzuleben -, Erlebnisse, die den Nachkommen ihre Privilegien verliehen. Eine ähnliche Funktion hatte eine Zeremonie, die bei den Nuu-chah-multh und Makah üblich war. Sie hieß Klookwana bzw. Klookwalli. Bei dieser Zeremonie wurden die Initiierten von übernatürlichen Wölfen entführt, und die Dorfbewohner nahmen an Tänzen teil, die helfen sollten, sie zurückzubringen. Die Bemühungen hatten schließlich Erfolg, die Initiierten kehrten zurück und tanzten bestimmte Tänze, die sie geerbt hatten. Die Tänze wurden nach einer festgelegten Ordnung aufgeführt. Bei einigen dieser Tänze trugen die Tänzer Wolfsmasken. Bei anderen trugen sie einen Kopfputz aus flachen, bemalten Brettchen vor der Stirn, auf denen der Wolf, die mythologische Blitzschlange oder der Donnervogel im Profil abgebildet waren. Auch hier beim Klookwana oder Klookwalli waren die Grenzen zwischen Mensch und Geist, Gegenwart und Vergangenheit, Initiiertem und Vorfahren zeitweise aufgehoben.
Ein Tänzer mit Huxwhukw-Maske
während eines Hámats´a-Rituals
Selbst die Gebrauchskunst der Küsten-Salish nahm oft auf persönliche Geisthelfer Bezug. Ein besonders charakteristischer Maskenstil war vor allem in British Columbia in Gebrauch. Diese Maske namens Sxwayxwey wurde von Individuen in sehr persönlichen Lebensabschnitten benutzt: bei Geburten, Eheschließungen, Todesfällen und wenn sie sich neue Namen gaben. Diese Masken haben im Gegensatz zu anderen Masken an der Küste stumpfe zylindrisch-abstehende Augen und verwenden nicht selten die Technik des "Vexierbilds", wenn sie z.B. Vogelmuster in die Züge einer größeren mythischen Gestalt integrierten.
Diese Technik des Vexierbilds ist an der ganzen Küste verbreitet, verdient also größere Aufmerksamkeit. Beim "Vexieren" sind Teile eines Tiers zugleich die eins anderen. So können die Schwingen eines Adlers auch die Brustflosse eines Wals darstellen, was dem Künstler erlaubt, eine gemeinsame Identität anzudeuten. Auch diese künstlerische Technik impliziert, daß Grenzen fließend sein können. Zwei Präsenzen können denselben Platz zur selben Zeit einnehmen, gerade so wie der Tänzer gleichzeitig in der Gegenwart und der Vergangenheit leben kann.
© 2001