Das ganze 16. und 17. Jahrhundert über fielen im Gefolge Spaniens verschiedene europäische Mächte in die indianischen Länder Nordamerikas ein. Die meisten Führer indianischer Nationen stellte das vor Probleme, deren Dimensionen sie kaum durchschauten. Was hatten sie zu verlieren, was zu gewinnen? Wie konnten sie überhaupt überleben? Die Europäer hatten eindeutig überlegene Waffen - und keine Hemmungen, diese gegen Indianer einzusetzen, was sie oft genug demonstriert hatten. Doch die Europäer besaßen auch wertvolle Güter, darunter Feuerwaffen für Jagd und Kriegszüge; und viele indianische Führer glaubten, daß friedliche Handelsbündnisse mit den Europäern ihnen neue Macht in ihrer Region geben könnte.
Bei alldem begriffen indianische Führer nie oder erst dann, wenn es schon zu spät war, daß Indianer als Nicht-Weiße und Nicht-Christen in den Augen der Europäer keine wirkliche Menschen waren. Viele Europäer sahen in ihnen einfach gefährliche und empfindungslose Wilde; eine Ware für die Sklavenmärkte. Folglich waren die Neuankömmlinge nur so lange zu Verhandlungen und Zusammenarbeit mit indianischen Nationen bereit, wie sie dazu gezwungen waren oder davon profitierten. Sobald eine europäische Gemeinschaft in Nordamerika stark genug war, um ein Gebiet beherrschen zu können, waren die diplomatischen Vereinbarungen mit Indianern null und nichtig. Auf eine solche Denkweise waren die Indianer
trotz ihrer langen Tradition von Handel und Diplomatie zwischen ihren verschiedenen Nationen nicht im geringsten vorbereitet und deshalb lange außerstande, die Europäer, denen sie begegneten, zu durchschauen. Bis die indianischen Führer erkannten, daß ihre einzige Hoffnung im Krieg lag, war der Krieg oft schon verloren.
Einen großen Teil des 16. Jahrhunderts war Spanien die führende Kolonialmacht in Amerika. Während Eroberer wie de Soto und Menéndez von den Westindischen Inseln aus die indianischen Nationen Floridas und des Südostens heimsuchten, marschierten andere spanische Expeditionen von Mexiko nach Norden und drangen in die indianischen Regionen des Südwestens ein, eines felsigen und lange Zeit nur spärlich besiedelten Landes mit großer Naturschönheit. Um 1300 waren die Anasazi - oder Hisatsimom, wie die Hopi sie nannten - von ihren Klippensiedlungen wie Mesa Verde in neue Gebiete gezogen, ein Teil von ihnen zu den Hopi- und Zuñi-Städten, doch die meisten nach Osten in das Rio Grande-Tal des heutigen New Mexico. Dort gründeten die verschiedenen Einwanderer-Gruppen, insgesamt mehrere Tausend mit jeweils unterschiedlichen Sprachen oder Mundarten - Keres oder Tanoan Tewa, Tiwa oder Towa -, etwa achtzig Städte mit soliden Häusern aus Adobe und Stein. Die Spanier nannten sie deshalb später "Pueblos", nach dem spanischen Wort für Dorf. Wie ihre Anasazi-Vorfahren lebten die Pueblo-Indianer vom Ackerbau und bewahrten sich eine theokratische Regierungsform unter der Führung von religiösen Gesellschaften, deren Priesterschaft die Politik bestimmte, die Gemeindeangelegenheiten lenkte und den jährlichen Zyklus von Zeremonien und Gebeten überwachte. Die Religion durchdrang alle Lebensbereiche. An jedem Tag, in jedem Monat und jedem Jahr gab es bestimmte Aufgaben zu erfüllen, um die Harmonie mit der Geisterwelt zu bewahren; und alle Mitglieder der Gemeinschaft - Männer, Frauen und Kinder - trugen ihren Teil dazu bei. Jedes Individuum war - wie der Mais, die Lebensader ihrer Nationen - Teil eines empfindlichen Gleichgewichts. Im Jahr 1540 wurde dieses Gleichgewicht vom spanischen Konquistador Francisco Vásquez de Coronado zerschlagen.
Im nördlichen Mexiko und Arizona, auf dem Colorado-Plateau und am Rio Grande und seinen Nebenflüssen traten am stärksten die Pueblo-Indianer in Erscheinung. In neunzig Dörfern lebten mehr als 40.000 Menschen. Heute gibt es nur noch dreißig Siedlungen; Dürre, Krankheit und Krieg waren die Gründe, warum die anderen aufgegeben wurden.
Die Pueblo-Indianer bildeten keinen Stamm: jede Pueblo-Kultur bestand aus einem Dorf, das als autonome politische Einheit funktionierte - was nicht bedeutet, daß diese Gruppen in einem Vakuum lebten. Sie trieben mit den anderen Gruppen Handel, anerkannten die gemeinsame Herkunft, heirateten gelegentlich Partner aus einem anderen Pueblo und besaßen ähnliche Weltanschauungen und viele gemeinsame Wertvorstellungen.
Sie sprechen viele verschiedene Sprachen. Die größte Sprachgruppe ist das Tano, das zur Kiowa-Tano-Sprachfamilie zählt. Das Tano besteht aus drei Hauptsprachen - Tiwa, Tewa und Towa. Die Einwohner von Taos, Picuris, Sandia und Isleta sprechen Tiwa-Dialekte. In San Juan, Santa Clara, San Ildefonso, Pojoaque, Nambe und Tesuque wird Tewa gesprochen. Auch in Hano im Hopi-Land spricht man Tewa, weil um 1700 zahlreiche Tewa-Familien aus dem Rio Grande-Tal hierher geflohen waren, als die Spanier das Gebiet zurückeroberten, das sie durch den Pueblo-Aufstand verloren hatten. Jemez ist heute der einzige Pueblo, in dem noch Towa zu hören ist. Früher sprach man es auch im berühmten Pecos-Pueblo, doch wurde er zu Anfang des 19. Jh. aufgegeben.
Verstreut unter den Tano-Sprechern leben die Keres. Am Rio Grande und seinen Nebenflüssen liegen die Keres-Dörfer Cochiti, Santo Domingo, San Felipe, Santa Ana und Zia; weiter westlich Laguna und Acoma. Noch weiter westlich liegt der Zuni-Pueblo, wo Zuni gesprochen wird. Zuni gehört zur Penuti-Sprachfamilie und ist mit keiner anderen Sprache des Südwestens verwandt (die anderen penuit-sprechenden Indianer leben in Kalifornien). Die Hopi im nördlichen Teil von Zentralarizona sind einige Dörfer, die auf drei Mesas des Colorado-Plateaus erbaut wurden. Sprachlich gehört Hopi zum Shoshoni-Zweig der uzo-aztekischen Sprachfamilie. Es ist also mit dem Pima, Ute und Paiute im Südwesten und mit zahlreichen Sprachgruppen in Zentralmexiko verwandt.
Dreistöckiges Haus, Oraibi-Pueblo, Arizona, 1879.
Oraibi (Ort des Felsens) ist das größte und bedeutendste Mesa-Dorf der Hopi im nordöstlichen Arizona. Steinbauten mit Mörtelputz traten hier an die Stelle der für die Tal-Pueblos typischen Lehmbauten. |
Der Pueblo Cochiti (1879), der bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückgeht. Cochiti ist nicht nur bekannt für seine Keramik und exakt gestimmten Trommeln, sondern auch berühmt wegen seiner Zeremonien, worunter auch Kachina-Tänze sind. |
Die Pueblo lassen sich nach der Lage ihrer Dörfer und gemäß ihrer ökologischen Anpassung in zwei Gruppen unterteilen. Die Östlichen Pueblo, die am Rio Grande und seinen Nebenflüssen leben, haben darin eine permanente Wasserquelle, die ihnen den Bewässerungsfeldbau ermöglicht. Die Westlichen Pueblo sind mangels steter Wasserversorgung auf Trockenfeldbau angewiesen. Die unterschiedlichen Wasserressourcen wirken sich von der Nahrungsbeschaffung bis hin zur Religion auf viele Aspekte der Kultur aus. Wirtschaftlich gesehen sind alle Pueblo Feldbauern. Viele hatten auch kleine Schaf- und Rinderherden, stellten kunsthandwerkliche Produkte her - Webwaren etwa oder Silberschmuck, Juwelen, Kachina-Puppen, Keramik oder Körbe. (Heute sind die meisten Pueblo-Indianer wie alle anderen im Südwesten auch Lohnempfänger. Das bedeutet, daß viele in die nahegelegenen großen Städte wie Albuquerque, Santa Fe, Gallup, Flagstaff oder Phoenix gehen müssen. Alle kehren sie jedoch zurück, wenn es gilt, an wichtigen Zeremonien teilzunehmen.)
Die Religion transzendiert und durchdringt bei den Pueblo-Indianern alle Bereiche des Lebens, so auch die Wechselbeziehungen mit dem Land, mit anderen Menschen und mit den Mächten des Übernatürlichen. Sämtliche Aspekte des Lebens - Kunst, Handwerk, Wirtschaft, Sozialstruktur und Familie - sind unter dem Dach einer einheitlichen Weltanschauung zusammengefaßt und unauflöslich miteinander verwoben. Ausgehend von der einfachen Ansicht, daß die Menschen mit der Natur in Einklang leben müssen, haben die Pueblo-Indianer reiche kulturelle Traditionen entwickelt, die in ihrer Dichtung, ihren Legenden, Liedern, Tänzen und in ihrer Kunst zum Ausdruck kommen. So erhalten zentrale Werte ihre sichtbare Formulierung. Beispielsweise leiten sich viele Keramikmuster von Motiven her, die mit dem Zeremonialbereich verknüpft sind. Der architektonische Mittelpunkt eines Dorfes - und dies sowohl im wörtlichen wie im symbolischen Sinne - ist ein besonderer, kiva genannter Raum. Hier finden täglich und an geeigneten Zeitpunkten im Jahr private und kommunale Riten statt. Gebete werden gesprochen, um Segen zu erhalten, das Keimen und Reifen der Feldfrüchte zu gewährleisten und Dank abzustatten für gute Gesundheit.
Weltliche und geistliche Autoritäten sind in den Pueblos scharf voneinander getrennt. Jedes Dorf ist eine bestens durchstrukturierte Theokratie, in der sich alles um die komplizierten, das gesamte Leben begleitenden Zeremonien dreht. An der Spitze dieser Theokratie, die auf alten Vorbildern beruht und über die nur die Dorfbewohner Bescheid wissen, steht ein sogenannter "Kazike" (cacique) (Häuptling einer Siedlung). Für die Außenwelt sind die säkularen politischen Strukturen augenscheinlicher. In den östlichen Pueblos liegt die weltliche Organisation in den Händen eines "Gouverneurs" (governor), der alljährlich ernannt oder gewählt wird. In den 1860er Jahren erhielten diese Gouverneure von Präsident Lincoln Rohrstöcke als Insignien, die zu hochgeschätzten Symbolen ihres Amtes geworden sind. Der Gouverneur hat mehrere Assistenten, "Prinzipale" (principles) genannt, eine Gruppe hochgeachteter älterer Männer, deren weise Entscheidungen einen Ausgleich zwischen zivilen und religiösen Angelegenheiten herstellen. In allen Pueblos gibt es einen Jagdhäuptling und einen Kriegshäuptling oder -priester.
Tänzer auf der Plaza des Zuni-Pueblos. | Acoma-Frauen bringen Wasser in traditionellen Tonkrügen von einer Zisterne über einen schmalen und steinigen Pfad zur Stadt hoch. Acoma ist eine der ältesten ohne Unterbrechung bewohnten Städte in den heutigen Vereinigten Staaten. |
Die Pueblos der Tewa gliedern sich in zwei gesellschaftliche Hälften oder "moieties", wie die Anthropologen sie nennen. Die Zugehörigkeit zu einer moiety verläuft über den Vater; allerdings kann eine Frau ihre moiety-Eingliederung verändern, wenn sie einen Mann aus der anderen moiety heiratet. Jede Hälfte hat politische Würdenträger. Die eine Hälfte des Jahres liegen die politischen und zeremonialen Pflichten in den Händen des "Sommervolks", wohingegen das "Wintervolk" (die andere moiety) sie für die andere Jahreshälfte übernimmt. Zu jeder moiety gehören bestimmte religiöse Bünde, andere Bünde setzen sich über die verwandtschaftliche Unterteilung hinweg. Unter den Keres ist die Sozialorganisation geschlossener. Es gibt pro Dorf nur einen Kaziken, dem ein aus den Anführern der religiösen Bünde - die dieses Amt lebenslang innehaben - gebildeter Rat zur Seite steht.
In allen Pueblos ist die Familie der Grundstein des Lebens. Während in den Tewa-Gemeinschaften entweder die Großfamilie väterlicher- oder mütterlicherseits im Mittelpunkt steht, bildet bei den Zuni und Hopi die matrilineare Großfamilie die Grundlage der Gesellschaft. Verglichen mit anderen Gruppen des Südwestens sind die Pueblo-Indianer keine Individualisten; Neuerungen werden durch Gruppenentscheid, Konsens und Überredung angenommen oder verworfen. Die Pueblo-Indianer besitzen viele gemeinsame Wertvorstellungen, Ideen und Traditionen, und doch ist jede einzelne Gruppe auf ihre Weise einzigartig. Ein Pueblo ist eine eng zusammengeschlossene und in hohem Grade systematisierte Organisation. Heiraten innerhalb der eigenen Gruppe werden in allen Dörfern bevorzugt. In den Zeremonien der einzelnen Gruppen wie bei Keramikformen und Dekorstil lassen sich charakteristische Unterschiede feststellen.