Die Weite der Prärie verlangte auch nach weithin sichtbaren
optischen Verständigungsmitteln. "Das interessanteste besteht darin, Rauch aufsteigen zu lassen", schrieb der Amerikaner Josiah Gregg 1844, "wodurch viele wichtige Informationen über eine große Entfernung übermittelt werden - je nach Art, Größe, Anzahl oder Wiederholung der Rauchsäulen, die in der Regel durch das Verbrennen trockenen Grases entstehen."
Racufeuer wurden jeweils am höchsten Punkt der Umgebung entzündet, so daß die Signale bis zu 80 Kilometer weit sichbar waren. Um eine Rauchsäule zu produzieren, wurden die Flammen mit einer Decke fast erstickt, dann wurde sie ruckartig zur Seite gezogen. Auf diese Weise entstand je nach Technik entweder eine gerade, senkrechte Säule oder eine ballonförmige Säule.
Anders als bei der Zeichensprache gab es für Rauchsignale jedoch keinen standardisierten Code. Die
Apachen im Norden New Mexicos kannten beispielsweise nur drei Arten von Rauchsignalen. Eine einzelne
Säule bedeutete: "Achtung" - etwa, wenn eine Gruppe bewschloß, ihren Lagerplatz zu verlassen, oder wenn Feinde in Sicht waren, die zunächst nur beobachtet werden sollten. Zwei Feuer,
die zwei Rauchsäulen nebeneinander entstehen ließen, das hieß: "Alles in bester Ordnung." Drei oder mehr Rauchsignale nebeneinander verkündeten: "Alarm, Feinde im Land!" je größer die Gefahr, um so mehr Rauchsäulen stiegen empor.
Die Entdeckung der indianischen Zeichensprache war für die Forscher des 19. Jahrhunderts ein Beleg dafür, daß die Indianer nur eine primitive Vorstufe der
"zivilisierten" Sprache beherrschten: "Die Gesten der niederen Stämme des Menschen
können im allgemeinen als emotional und instinktiv klassifiziert werden, ähnlich wie die der niederen Tiere", bemerkte der Ethnologe Garrick Mallery. Er schrieb im Jahre 1881 ein ganzes Buch über die Zeichensprache der amerikanischen Ureinwohner.
Damals hoffte man noch, bei den Indianern eine echte Steinzeitsprache zu finden. Doch diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Heute weiß man, daß alle Kulturformen des Menschen über komplette
Sprachen verfügen - Naurvölker ebenso wie unsere vermeintlich hochentwickelten Industrienationen.
Viele der "primitiven" Indianersprachen sind so kompliziert, daß sie selbst Sprachwissenschaftler das Fürchten lehren. "Wiitokuchumpunkurüganiyugwivantümü" - dieses Wortungetüm aus der Sprache der Paiute bedeutet Glied für Glied: "Messer-schwarz-Büffel-Haustier-schneiden-auf-sitzen-Plural-Futur-Partizip-belebt-Plural".
Frei übersetzt heißt das: "Diejenigen, die sitzen werden und mit einem Messer einen schwarzen Büffel aufschneiden". Grammatikalisch gesehen ist der Bandwurm ein Verb.
Viele Indianersprachen haben die Eigenschaft, das, was unsere Sprache in einem Satz ausdrückt, in einem einzigen Wort zu sagen. "Inkorporierend" (einverleibend) nennen Linguisten solche Sprachen. Der Name "Der mit dem Wolf tanzt" ist ein bekanntes und harmloses Beispiel.
Indianersprachen drücken Feinheiten aus, die in unserer Sprache übergangen werden: Oft muß der Sprecher genau angeben, ob er eine Aussage bezeugen kann oder ob er sie nur vom Hörensagen weiß: Der deutsche Satz "Er hackt Holz" würde in der nordkalifornischen Wintu-Sprache "pik´upabe" lauten - aber nur, wenn man den Vorgang mit eigenen Augen gesehen hat. Wenn man den Holzhacker nur gehört hat, sagt man "pi k´upanthe". Wenn man nur vom Hörensagen von ihm weiß, heißt es "pi k´upake". Und wenn man lediglich annimmt, daß der Mann Holz hackt, weil er das regelmäßig tut, lautet die korrekte Verbform "pi k´upa´el".
Einige Indianersprachen unterscheiden sogar zwei Formen von "wir": Die eine bedeutet
"ich und du", die andere Form "ich und andere, aber nicht du". So zum Beispiel in der Sioux-Sprachfamilie. Doch selbst wenn man derartige Klippen gemeistert hat, bleiben genug Gelegenheiten, um ins Fettnäppchen zu treten. Denn es gibt eine Fülle von Regeln im indianischen Sprachgebrauch, die Europäer nur schwer nachvollziehen können.
So haben zum Beispiel bei den Yana in Kalifornien die meisten Wörter für Männer andere Formen als für Frauen. Wenn ein Mann "Grizzly-Bär" sagt, so heißt das "t´en´na". Frauen sagen dagegen "t´et". "Hirsch" heißt in der Männersprache "bana", in der Frauensprache "ba". Männer gebrauchen die Männerwörter nur, wenn sie mit Männern sprechen. In allen anderen Situationen werden die Frauenwörter benutzt. Verwechslungen geben Anlaß zu größter Heiterkeit.
Keinesfalls humorvoll reagierten die Indianer vieler Stämme dagegen, wenn jemand gegen ein sprachliches Tabu verstieß. "Das schwerste Verbrechen, das jemand begehen kann, ist pet-chi-é-ri, das bloße Aussprechen des Namens eines verstorbenen Verwandten", schrieb der Ethnologe Stephen Powers 1877 über die Karuk-Indianer in Kalifornien. "Es ist eine tödliche Beleidigung für die Hinterbliebenen und kann nur gesühnt werden durch die gleiche Summe Blutgeld, die auch für Mord gezahlt wird." Der Grund: Man war überzeugt, daß sich der Geist des Verstorbenen durch das Aussprechen seines Namen gestört fühlte.
Bei den meisten Indianern Nordamerikas mußten deshalb alle Stammesmitglieder, die zufällig denselben Namen wie ein Verstorbener trugen, einen neuen Namen annehmen. Besonders unpraktisch war es, wenn der Tote den Namen eines Tieres oder einer Pflanze trug: In diesem Fall wurde für das betreffende Lebewesen ein neuer Name gesucht. Mit der Zeit konnte auf diese Weise das Vokabular einer Stammessprache beträchtlich umgekrempelt werden.
Besonders weit verbreitet war das Schwiegermutter-Tabu: Viele männliche Indianer fürchteten den Kontakt zur Mutter ihrer Frau wie der Teufel das Weihwasser. Bei den Navajo und bei den Apachen war es dem
Bräutigam zeitlebens streng verboten, seine Schwiegermutter anzusehen oder ihren Namen zu nennen, geschweige
denn ein Wort mit ihr zu wechseln. Wenn sich ein direkter Austausch doch einmal nicht vermeiden ließ, mußte
eine dritte Person zur "Nachrichtenübermittlung" herangezogen werden.
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